Einen Theaterabend mit dem eingeschalteten Handy erleben: was sonst ungern gesehen ist, wird im „The Orlando Project“ unabdingbarer Bestandteil der Inszenierung. Mit einem Leihtelefon ausgestattet heißt es für die Zuschauer*innen mittels einer, eigens für das Projekt entwickelten App (verantwortlich zeichnete, die bereits für die AR-Rätselrallyes von „ArchäoNow“ tätige Firma VARS) aus dem realen Stadtraum in digital erweiterte Bühnenräume einzutreten. Die Handhabung ist denkbar einfach: an der auf einem Plan vermerkten Station in der Wiener Innenstadt angekommen, löst ein Triggerpunkt eine jeweils circa knapp fünf Minuten dauernde Animation aus.
Durch Raum und Zeit
Ausgehend von der Griechengasse Nummer 7 begeben sich die Zuschauer*innen auf die (Lebens-)Spuren von Virginia Woolfs „Orlando“. Die Romanfigur ist ein als Mann geborener und in eine Frau transformierter Mensch, dessen Lebensweg sich vom England des 16. Jahrhunderts bis in die 1920er-Jahre erstreckt. Das Buch, das zu einem der bekanntesten Woolfs zählt, fasziniert seit mittlerweile mehreren Jahren auch Julia Pacher (Projekt, Konzept und Leitung von „The Orlando Project“).
Der Begeisterung der Regisseurin ist es zu verdanken, dass der Stoff zum Ausgangspunkt für ihr erstes, gemeinsam mit Ece Anisoglu initiiertes Theater-AR-Projekt wurde. Überzeugt zeigte sich das Team nicht zuletzt von der Aktualität der als „eine Biografie“ erschienenen Geschichte. Nicht nur, dass Orlando auf der Suche nach Selbstbestimmtheit immer wieder gezwungen ist, sich ständig in der Gesellschaft neu zu verorten, so ermöglichte es vor allem der Geschlechterwechsel Woolf sich mit Vorurteilen und den (nach wie vor) rigiden Rollenerwartungen an Frauen auseinanderzusetzen.
Wider den Zwängen
Am stärksten wird dieser Aspekt in der vierten Station des Theaterparcours verdeutlicht, wenn Opernsängerin Cosima Büsing im Volksgarten inmitten digital erzeugter orangefarbener Sonnenuntergangsstimmung, über die mit dem Ideal der romantischen Liebe einhergehenden Zwänge sinniert. Nur wenige Gehminuten später gelingt es Orlando schließlich im letzten Teil zu einer selbstbestimmten Dichterin/Künstlerin heranzureifen. Verkörpert wird der Befreiungsakt von dem „non-binary drag fashion monster“ Metamorkid. Seine Performance wurde an die „Außenhaut“ des Mumoks im „MuseumsQuartier“ mittels Mapping-Technik animiert. Für Pacher insofern eine passende Location, da das Mumok als Kompetenzzentrum zum Wiener Aktionismus gilt (ging es den Künstlern des Wiener Aktionismus bekanntermaßen vor allem um das Aufzeigen und Aufbrechen der Gewalt sozialer Zwänge im konservativen Nachkriegsösterreich).
Ausgewählt wurden die Orte von Pacher und Anisoglu. Danach wurden die Künstler*innen eingeladen die Szenen zu gestalten. Während der Schweizertrakt in der Hofburg von Visual Artist Simon Goritschnig mit einer waldähnlichen Landschaft bespielt, den Rückzug Orlandos in die Abgeschiedenheit der Natur widerspiegeln soll, wird die Rückseite des Weltmuseums zur Projektionsfläche von Nour Shantouts Textilmustern, die auf Orlandos Zeit und seine Transformation zur Frau in Konstantinopel verweisen. Der Spielraum für Interpretationen ist groß und mitunter auch diskussionswürdig – interessant ist das Projekt trotzdem. Nachdem den Zuschauer*innen zum Start des Projekts ein „Guide“ zur Seite gestellt wurde, sollen diese künftig ihren Weg mittels auf das eigene Mobiltelefon downloadbarer App selbst finden. Damit ließe sich dann noch ungestörter in die verschiedenen (Kunst-)Welten versinken. Gefördert wurde die erste Phase des Projektes vom BMKÖS im Rahmen des „Neustart Kultur-Paket # 2″ für innovative Kunst- und Kulturformate. Ziel war und ist es laut den beiden Initiatorinnen „einen erweiterten immersiven Theaterraum (zu) finden und das Theater größer, interdisziplinär und auf einer neuen Ebene (zu) denken.“
Titelbild: The Orlando Project. Station 2. Simon Gortschnig © Glass Circle
Teilen mit: